"Lovemobil"-Skandal: "Ich entschuldige mich bei den Zuschauern"
Es war im November 2019, als die Berliner Filmemacherin Elke Margarete Lehrenkrauss im Lichtspiel Schneverdingen Ausschnitte aus ihrem Film „Lovemobil“ zeigte. Darin ging es um den Alltag von Prostituierten, die in Wohnmobilen Freier empfangen. Jetzt, gut Eineinvierteljahr später, ist der Film bundesweit in die Kritik geraten. Der Grund: Die Redaktion „STRG_F“ des Norddeutschen Rundfunks (NDR) fand heraus, dass „Lovemobil“ über weite Strecken hinweg Szenen zeigt, die nicht authentisch sind – konkret hat Lehrenkrauss mehrere Protagonisten durch Darsteller ersetzt, welche Handlungen nachspielten.
Besucher, die seinerzeit ins Schneverdinger Lichtspiel kamen, dürften sich noch erinnern: In den gezeigten Filmszenen ging es unter anderem um zwei Prostituierte namens Rita und Milena. Was weder Filmemacherin Lehrenkrauss, die an dem Abend selbst in Schneverdingen vor Ort war, noch ihr Film verrieten: Die echte Rita und die echte Milena waren gar nicht selbst zu sehen, stattdessen standen andere Frauen vor der Kamera. Entsprechendes gilt für andere Personen, von denen der Film erzählt.
Schneverdingens Gleichstellungsbeauftragte Agnes Prengemann war es seinerzeit, die die Berliner Filmemacherin Elke Margarete Lehrenkrauss ins Lichtspiel holte. Sie tat es aus Anlass des Internationalen Gedenk- und Aktionstages „Nein zu Gewalt an Frauen!“. „Mir gegenüber hat Frau Lehrenkrauss nicht erwähnt, dass es sich um Darstellerinnen handelt“, erfuhr auch Prengemann erst durch die Medien von dem Fall.
Die Gleichstellungsbeauftragte hält trotz der nun bekanntgewordenen Umstände weiter viel von „Lovemobil“: „Die Wohnwagen, die an der B 3 in Richtung Hamburg stehen oder auch um Celle, gibt es. Und wir fahren achtlos vorbei. Endlich haben diese Frauen eine Plattform bekommen.“
Prengemann sagt, sie halte es für wichtig, dass über Prostitution aufgeklärt werde. „Wie leben die Frauen, die dort im Wohnwagen arbeiten? Woher kommen sie? Welche Träume und Hoffnungen haben sie? Diese Frauen sind ein Teil unserer Gesellschaft.“ Schneverdingens Gleichstellungsbeauftragte werde den Film auch künftig weiterempfehlen, regt jedoch an: „Gut wäre es, wenn im Vorspann des Filmes erwähnt wird, dass es sich um nachgestellte Szenen handelt.“
Ganz anders sieht es Wolfgang Voigt, Programmkoordinator beim Verein Lichtspiel. „Der Film ist ein Fake, der sich aber als Dokumentation ausgibt“, meint er und ergänzt: „Ich kann den Film nicht weiterempfehlen.“ Bislang habe man im Schneverdinger Lichtspiel nur Ausschnitte gezeigt, dann sei der Lockdown gekommen, weshalb „Lovemobil“ später nicht in Gänze gezeigt worden sei. Das nachzuholen, wird in Schneverdingen nun wohl nicht mehr erfolgen: „Wir werden den Film mit Sicherheit nicht zeigen“, sagt Voigt. Der Film behandle zwar ein wichtiges Thema, dieses dürfe aber „nicht unseriös aufgearbeitet werden“.
Schwierig, die richtigen Frauen vor die Kamera zu bringen Und was sagt Filmemacherin Elke Margarete Lehrenkrauss selbst zu dem Thema? Die BZ hat bei ihr nachgefragt. In einem Telefonat antwortet die Berlinerin: „Es war sehr schwierig, Frauen zu finden, die vor die Kamera treten wollten, weil ihr Beruf sehr stigmatisiert ist.“ Uschi, die Wohnmobil-Vermieterin, sei definitiv echt, auch eine andere Frau sei zunächst bereit gewesen, vor die Kamera zu treten, dann jedoch schwanger geworden. Innerhalb des Filmteams sei schließlich die Idee aufgekommen, es mit Darstellern zu probieren. So habe Lehrenkrauss für Rita eine Frau namens Fareeda vor die Kamera gestellt. Die Filmemacherin erinnert sich: Fareeda habe das Thema als wichtig empfunden. „Für sie war es ein ethischer Auftrag. Deshalb wollte sie die Produktion unterstützen.“ Rotlicht-Erfahrung habe Fareeda nicht, so Lehrenkrauss, weshalb die Regisseurin im Nachhinein klarstellt: „Rita war ganz klar eine Darstellerin.“ Bei den anderen Darstellern sehe das anders aus: „Alle Charaktere außer Rita haben Erfahrungen mit dem Rotlicht-Mileu“, betont Lehrenkrauss, allerdings habe die Milena-Darstellerin nicht in einem Lovemobil gearbeitet.
Zumindest die in „Lovemobil“ dargestellten Fakten entsprächen aber der Realität, betont die Regisseurin. Alles, was beispielsweise Rita in dem Film erlebt, basiere auf von Lehrenkrauss recherchierten Fakten. Rita gebe es – wie im Übrigen auch Milena – definitiv, die Filmemacherin habe diese über eine lange Zeit hinweg begleitet. Sie habe Ritas Erlebnisse dann durch eine andere Person darstellen lassen – und zwar so, auch das gibt Lehrenkrauss zu, dass es atmosphärisch dicht und Emotionen hervorrufend rüberkomme. „Ich habe versucht, die Lebensrealität abzubilden“, erklärt Lehrenkrauss ihr Vorgehen und ergänzt, dass sie nicht journalistisch arbeite, sondern aus der Kunst komme. Viele Sexarbeiterinnen hätten ihr später bestätigt, dass sich das Leben dieser Klientel so abspiele, wie es in dem Film zu sehen sei.
Elke Margarete Lehrenkrauss räumt ein, dass sie den Film entsprechend hätte deklarieren müssen. „Mein großer Fehler war die Kommunikation über den Film. Ich habe die Inszenierungen nicht gekennzeichnet und ich habe den Zeitpunkt verpasst, das offenzulegen.“ Das Ganze habe sich für sie schließlich zu einer Art „Strudel“ entwickelt: „Wenn man einmal etwas nicht angesprochen hat, ist es schwierig, das später klarzustellen“, sagt sie und ergänzt: „Ich habe mich immer sehr unwohl gefühlt.“
An ihre einstigen Schneverdinger Zuschauer gerichtet, sagt Elke Margarete Lehrenkrauss: „Ich entschuldige mich bei den Zuschauerinnen und Zuschauern, wenn ich ihre Gefühle verletzt habe.“ 2020 ist Elke Margarete Lehrenkrauss‘ Film „Lovemobil“ mit dem Deutschen Dokumentarfilmpreis ausgezeichnet worden. Den Preis hat die Berliner Filmemacherin inzwischen zurückgegeben. Eine Nominierung für den Grimme-Preis ist zurückgezogen worden.