Welche Landwirtschaft will die Gesellschaft?
Manchmal kann der Blick aus anderer Perspektive nicht schaden, wie ihn die stellvertretende Landrätin Claudia Schiesgeries bei der Übergabe der Erntekrone an den Landkreis durch Vertreter des ländlichen Raums im Rahmen der Kreisausschusssitzung offenbarte. Die Schwarmstedter Sozialdemokratin, die keinen direkten Bezug zur Landwirtschaft hat, hatte sich für ihre Moderationsrolle am gestrigen Montagmorgen im Bad Fallingbosteler Kreishaus kundig gemacht. Ihr sei nicht entgangen, dass der dominierende Mais „in diesem Jahr prächtig steht“. Unter landwirtschaftlicher Betrachtung werde ihr von 2021 aber anderes im Bewusstsein bleiben: „Die Vielzahl an Schmetterlingen.“
Ungewöhnliche "Beigaben" unter der Erntekrone
Die Falter sind nicht von allein zurückgekommen. Es ist das Ergebnis von Bemühungen, wieder mehr Vielfalt, Diversität, in die Landschaft zu bringen: Blühstreifen, die mit öffentlicher Förderung an Feldrändern angelegt werden. Auf dem kleinen Leiterwagen mit der von Bispinger Landfrauen aus Weizenähren gebundenen Krone befanden sich neben weiteren Feldfrüchten auch ungewöhnliche „Beigaben“: Leitz-Aktenordner, beschriftet mit Themen, die den Landwirten zu schaffen machten, so die Soltauer Landfrauen-Kreisverbandsvorsitzende Edith Schröder: Agraranträge, Wasserschutzgebiet, Tierwohl und Nährstoffnachweis sind einige Stichworte.
Stetig steigende Produktionsauflagen, dazu sinkende Erlöse sowie teilweise explodierende Kosten für Futtermittel und Betriebsstoffe führen aus Sicht des Kreislandvolkvorsitzenden und Kreislandwirts Jochen Oestmann zu wachsender Frustration bei seinen Berufskollegen, die sich, anders als vor wenigen Jahren, nicht in Form von Traktor-Sternfahrten oder Blockaden von Lebensmittellagern Luft mache, sondern immer häufiger nach innen gekehrt sei. „Die Bauern sind beängstigend ruhig“, spricht Oestmann von Dramen aktuell insbesondere auf vielen Schweine haltenden Betrieben.
Prozess kann nur mit Landwirtschaft gelingen
Resignation sei aber keine Lösung. Dessen müssten sich die Landwirte bewusst sein und erkennen, wo ihre Chancen liegen, denn nicht alle Erträge seien „in Kilo und Tonnen messbar“. Neben der Sicherstellung der Ernährung erhielten Biodiversität und Klimaschutz immer mehr Bedeutung für die Zukunft des ländlichen Raums. Ohne die Landwirtschaft könne dieser Prozess nicht gelingen. „Die Gesellschaft muss daher schnell die Frage beantworten, welche Landwirtschaft sie will“, und die Landwirte müssten ihrerseits bereit sein, diese Herausforderung anzunehmen. Da sieht Oestmann Parallelen zum Kohleausstieg. Denn es werde Geld kosten: „Da müssen wir überall ein Preisschild dranmachen."