Weihnachten: Eine Erfahrung, die immer noch prägt
Menschen brauchen Rituale, das gilt ganz besonders für Kinder. Weihnachten mag in den vergangenen Jahrzehnten in unserer Gesellschaft etwas an Bedeutung verloren haben, ganz sicher hat es einen Wertewandel durchgemacht. Dennoch dürfte das Fest immer noch unser stärkstes gemeinschaftsstiftendes Ritual sein.
„Es verändert unseren profanen Alltag hin zu einer starken Grunderfahrung", hat der Berliner Biopsychologe Peter Walschburger formuliert. Und ist dadurch gerade für unsere Kinder eine prägende Erfahrung. Aber wie erleben die heute das Weihnachtsfest?
Im Klassenraum der 4a der Hermann-Billung-Schule in Soltau weihnachtet es schon ganz schön. Die Fenster sind mit Kerzen, Sternen und Tannenbäumen verziert, an den Wänden hängt ein großes Poster mit dem Stall von Bethlehem, auf dem Pult steht eine Krippe neben dem Adventskranz. Für die Kinder der Klasse 4a ist das keine bloße Dekoration. Sie kennen sich gut aus mit der Materie, dafür hat unter anderem ihre Klassen- und Religionslehrerin Margit Korsen gesorgt. Und auch zu Hause geht es bei den meisten in diesen Tagen zumindest zeitweise besinnlich zu. Die meisten erzählen vom Adventskranz auf dem Familientisch, dessen Kerzen angezündet werden, wenn die Familie zusammensitzt.
Vertraut mit der Geschichte des Adventskranzes
Wie sich dieser Brauch im Rauhen Haus in Hamburg vor 170 Jahren entwickelt hat, wissen die Kinder ganz genau. „Ein Mann hat Kinder, die keine Eltern hatten, bei sich aufgenommen“, erzählt Josefine. „Und die haben immer gefragt: Wie lange noch bis Heiligabend?", ergänzt Antonia. „Da hat der Mann vier große Kerzen für die Sonntage und viele kleine Kerzen für die anderen Tage aufgebaut. Und die Leute, die das zu Hause auch machen wollten, haben festgestellt, dass das zu groß ist und die vielen kleinen Kerzen weggelassen." Jonathan berichtet von seinem Adventskranz zu Hause, nach polnischer Tradition: „Der steht auf einem Teller aus Plastik mit Weihnachtsfiguren drauf."
Inzwischen sind auch ein paar Schüler der 2a hinzugekommen. Jetzt geht es um die Adventsheiligen, sie waren in den vergangenen Tagen ein Thema, die Viertklässler haben Bilder von ihnen gemalt. Von Nikolaus natürlich, nicht nur, weil die meisten vor ein paar Tagen ihre Stiefel gründlich geputzt haben. „Der Nikolaus hat wirklich gelebt", sagt Lina. „Aber nicht mit Schlitten und so. Der war ein Bischof, der hat armen Leuten geholfen." Genau wie Santa Lucia. „Weil das verboten war, hat sie das nachts gemacht, mit einem Kranz auf dem Kopf mit Kerzen“, sagt Nele. Auch die Heilige Barbara kennen sie und den Brauch, am 4. Dezember Zweige zu schneiden und in eine Vase zu stellen, damit diese an Weihnachten blühen.
Dieser Brauch stammt aus Westfalen und aus Bayern, in den Klassen der Hermann-Billung-Schule gehen die Weihnachtsrituale aber viel weiter. Eldar beginnt zu singen: „Wißjólawa Rasch-dißtwá, Wißjólawa Raschdißtwá.“ Fröhliche Weihnachten heiße das auf russisch. „Ich wünsche euch allen ein schönes Fest, so geht es weiter." Eldar erzählt wie sie in seiner Familie feiern, dass bei ihnen zunächst Silvester und erst dann Weihnachten kommt. Seine Klassenkameraden schauen ihn ungläubig an.
Doch haben die beiden Feste in der russischen Tradition aufgrund des julianischen Kalenders tatsächlich die Reihenfolge getauscht. Die orthodoxe Kirche feiert Weihnachten am 7. Januar. Eldar erzählt weiter von den russischen Weihnachtskeksen, die seine Mutter backt, von seinem Uropa, der in Paris lebt und schon einmal auf dem Eiffelturm Weihnachten gefeiert hat, als Dankeschön, weil er mitgeholfen hatte, den großen Weihnachtsbaum mitten in der Stadt aufzubauen, und dass sie ihn dieses Jahr besuchen werden.
Nicht in allen Familien hat Weihnachten eine große Tradition. „In Albanien wird es eigentlich nicht gefeiert", berichtet Lina, deren Familie aus der muslimisch geprägten Balkanrepublik stammt. „Aber ein bisschen gibt es das jetzt auch bei uns. Wir feiern nicht so richtig, das ist schade. Aber ein Geschenk kriege ich auch von meinen Eltern."
Das Krippenspiel verschafft dem Weihnachtsmann Zeit
Auf die Frage, ob sie Heiligabend in die Kirche gehen, meldet sich etwa die Hälfte der Kinder. Einige machen auch beim Krippenspiel mit. Johannes spielt einen Hirten, seine Schwester Frida die Maria. Johannes findet es gut, dass die Familie am Nachmittag zum Krippenspiel geht. „Dann hat der Weihnachtsmann Zeit, die Geschenke zu bringen."
Geschenke sind natürlich das große Thema für alle Kinder. Bei Felix wird gewürfelt, wer als nächster auspacken darf. Vorher wird allerdings noch gesungen. „Schneeflöckchen, Weißröckchen“ und „O Tannenbaum“.
Anders als manch Erwachsener finden die Kinder das Singen unterm Weihnachtsbaum durch die Bank toll. Sie erleben noch ganz unverkrampft, was Kulturwissenschaftler diesem zuschreiben: dass nämlich das Zusammenspiel von Gestik, Haltung, Atmung und Gemeinschaft mit der Familie uns schon rein körperlich in einen Zustand versetze, der sehr stark mit Glücksgefühlen und positiven Erinnerungen verbunden sei. Und so bleibt Weihnachten, auch wenn das Fest im Laufe der Zeit so manchen Wandel durchlaufen hat, immer noch eine prägende Grunderfahrung – gerade für die Kinder.