Interview: „Wir werden schwarze Zahlen schreiben“
Soltau. Alles unter einem Dach – und dann? Die Böhme-Zeitung hat im Gespräch mit dem Geschäftsführer des Heidekreis-Klinikums (HKK), Dr. Achim Rogge, und dem Aufsichtsratsvorsitzenden, Hermann Norden, über Zahlen zur Wirtschaftlichkeit des Krankenhauses gesprochen.
Wie sieht das aktuelle Defizit des Heidekreis-Klinikums aus?
Hermann Norden: Das bisherige Defizit nehmen wir nicht als gottgewollt hin. Wir arbeiten daran, es zu verringern. Im Wirtschaftsplan für 2020 ist ein Defizit von 10 Millionen Euro, wir werden das Jahr aber voraussichtlich mit einem Defizit von unter 8 Millionen Euro abschließen. Genau wissen wir das, wenn der Wirtschaftsprüfer die Zahlen geprüft hat, das wird sicherlich im Juni sein.
Wie sieht es in den Folgejahren aus?
Norden: Für 2021 haben wir ebenfalls 8 Millionen Euro eingeplant. Das geht in den Folgejahren weiter mit 6,7 und 5,7 Millionen Euro, um ab dem Jahr 2024 ein Defizit von 4,5 Millionen Euro zu erreichen. Dabei sind zwei Randbedingungen maßgeblich: zum einen die Doppelvorhaltungen für zwei Häuser und zum anderen die hohen Energiekosten von insgesamt 4,2 Millionen Euro. Zusätzliche Investitionsbedarfe aufgrund der beiden Standorte sind da aber noch nicht berücksichtigt.
Welchen Investitionsbedarf sehen Sie denn?
Dr. Achim Rogge: Wir zahlen inzwischen fast eine Million Euro allein an Energiekosten. Allein die CO2-Steuer hat für die beiden Häuser zusammen eine Kostensteigerung von 50 000 Euro bedeutet. Die konnten wir durch Verhandlung mit den Energielieferanten kompensieren. Die nächste Steigerung ist aber schon angekündigt. Norden: Und wir wissen noch nicht, was bei der Lüftungsanlage noch an Kosten ansteht.
Was können Sie mit Fördermitteln ausgleichen?
Rogge: Wir bekommen jedes Jahr pauschale Fördermittel nach Paragraf 9 Punkt 3 Krankenhausfinanzierungsgesetz in Höhe von einer knappen Million. Da sind der Erwerb neuer Betten, ein neues Ultraschallgerät mit drin und alles, was mit der Aufrechterhaltung des normalen Betriebs zusammenhängt. Nun ist uns aber gerade in Walsrode unsere 45 Jahre alte Heizung kaputtgegangen. Die Neuinvestition von bummeligen 50 000 Euro ist mit Fördermitteln nicht zu decken. Das ist nur ein Beispiel. Als nächstes stehen die Motoren für die Fahrstühle an. Wir haben, in Walsrode mehr als in Soltau, ständig Wasserrohrbrüche. Diese Instandhaltungskosten sind in den Betriebskosten noch nicht enthalten.
Die Prognosen zum Defizitabbau sehen doch ganz gut aus. Könnte man da nicht bei den beiden Standorten bleiben?
Norden: Ein klares Nein, denn wie ich schon sagte: Für uns ist es nicht gottgewollt, dass 10 Millionen Euro vom Landkreis getragen werden müssen. Das Leistungsspektrum wird zudem nicht nur unter medizinischen Gesichtspunkten gemessen, sondern auch der ökonomische Erfolg trägt zu einer positiven oder negativen Beurteilung seitens der Öffentlichkeit bei. Deshalb ist es doch ganz klar, dass wir als Klinik eine Optimierung anstreben. Dazu gehört aber auch, dass die Fallzahlen stimmen, das ist ganz entscheidend. Die eingeleiteten Maßnahmen haben ja bereits zu Verbesserungen geführt, auch wenn Corona das Ganze etwas durcheinandergebracht hat.
„Wir streben rund 54 Prozent der Patienten aus dem Heidekreis an“ – Hermann Norden, HKK-Aufsichtsratsvorsitzender
Der Coronaeffekt ist aber ein bundesweites Phänomen, die elektiven OPs dürften also zeitverzögert reinkommen, die Fallzahlen wieder anziehen.
Rogge: Der Zeitverzug bleibt, da wir nicht alles auf einmal werden machen können. Zusätzlich müssen wir auch auf die Kosten achten und da geht es auch um Personalkosten. Im Vergleich mit anderen kommunalen Häusern liegen wir zum Beispiel beim Personal über dem Normalwert von 60 bis 65 Prozent der Belegschaft, wir liegen aktuell bei 70 Prozent. In punkto Pflegefachkräfte sind wir sehr gut aufgestellt. Da seit 2020 die Pflegekräfte am Bett von den Krankenkassen vollständig refinanziert werden, müssten wir in den Verhandlungen mit den Kassen eigentlich ein hohes Pflegebudget bekommen, weil wir nachweislich viele Pflegekräfte am Bett haben.
Also muss doch Personal eingespart werden.
Rogge: Noch mal: Es geht uns nicht um Personalabbau und Kündigungen, sondern darum, wie wir Prozesse so gestalten, dass sie für den Patienten gut sind und wir dabei mit weniger Personal auskommen. Die Sanierung hat begonnen. Wir werden niemanden betriebsbedingt kündigen, das ist mit dem Betriebsrat abgesprochen. Wir verlieren allein durch Renteneintritt 12 bis 15 Prozent unserer Mitarbeitenden – auch das Durchschnittsalter in der Pflege liegt bei 46 Jahren. Und ich frage mich: Bekomme ich für diese Ausgeschiedenen auch neue Mitarbeitende? Das wird die größte Herausforderung sein.
Wie verändert sich denn konkret der Personalstamm nach Ihren Planungen?
Rogge: Wir werden schwarze Zahlen schreiben, aber nur unter einem Dach. Neben der Demografie gibt es zudem die befristeten Arbeitsverträge. Es gibt Bereiche – wohlgemerkt nicht in der Pflege oder bei den Ärzten – da werden wir nachjustieren können. Allein bei der Patienten-Aufnahme gibt es zurzeit 25 Köpfe. Da werden wir weniger Personal benötigen. Der technische Dienst ist auch so ein Bereich. Wir werden über diesen Weg letztlich 3 Millionen Euro einsparen können.
Wir bleiben hartnäckig: Auf welche Stellenzahl wollen Sie denn kommen, wie lautet das Ziel?
Rogge: Das kann ich nicht genau sagen. Es gibt Tarifsteigerungen und anderes, was die Planungen beeinflussen kann. Mit dem Stand von heute weiß ich aber, dass wir aufgrund der natürlichen Fluktuation und der befristeten Arbeitsstellen ungefähr diese 3 Millionen Euro an Personalkosten werden einsparen können.
Wann wollen Sie die Einsparung erreicht haben?
Rogge: Noch nicht mit dem Umzug, sondern zeitverzögert, weil man einige Effekte berücksichtigen muss. Das dauert etwa zwei Jahre.
Woran liegt das?
Rogge: Das liegt an der notwendigen Veränderung von Prozessen. Für die Digitalisierung brauchen wir erst mal Geld, das uns in diesem Jahr hoffentlich über das Krankenhauszukunftsgesetz bewilligt wird. Das geht aber auch nicht nur uns so.
Wie lauten die Ziele auf der Kostenseite?
Rogge: Wir wollen mit 60 bis 65 Prozent Personalkosten und 30 bis 35 Prozent Sachkosten arbeiten. Dann landen wir bei einer kleinen Rendite, oder, wenn der Kreis auf die Idee käme, doch mal Geld zurückzufordern, bei plus minus Null.
Wie viele Fälle müssen Sie reinholen, um nach dem Umzug nach derzeitigem Stand die schwarze Null zu erreichen?
Norden: Das ist ganz klar. Ausgehend von der Trinovis-Untersuchung gibt es zurzeit jährlich 34 000 klinisch versorgte Patienten, die im Heidekreis leben. Bis 2030 werden es 37 000 Fälle sein. Wir streben 19 900 Patienten an, wobei die Marktauslastung bei etwa 23 000 Fällen läge. Wir rechnen also konservativ, rund 54 Prozent der möglichen Patienten aus dem Heidekreis streben wir an. Das ist realistisch.
Rogge: Um das zu erreichen, müssen wir auch unser Medizinportfolio anpassen. In der Stärken-Schwächen-Analyse von Trinovis zeigen sich auch unsere Schwächen. Wir arbeiten nicht überall marktkonform. Es gibt mehr Ambulantisierung, was auch mit der Weiterentwicklung von Behandlungsmethoden zusammenhängt, die zum Beispiel zu kürzerer Verweildauer der Patienten in der Klinik führen. Das ist der Trend, und das ist ja auch gut so.
Wo müssen Sie denn anpassen?
Rogge: Neurologie ist so ein Thema, Gefäßchirurgie auch. Allein diese beiden Bereiche machen 4000 zusätzliche Fälle aus dem Heidekreis aus. Die kommen dann zwar nicht alle zu uns, aber wenn es uns gelingt, hier schrittweise zu partizipieren, dann bringt uns das voran. Wir wollen also stärker auf Basis der Erkrankungen im Heidekreis planen, nicht auf Basis der Fälle aus Nachbarkreisen.
Norden: Wobei es immer wieder Querbewegungen gibt. Knapp unter 20 Prozent kommen aus anderen Kreisen.
Das Trinovis-Gutachten setzt aber bewusst auf die Fälle aus den Nachbarkreisen. Rogge: Das haben Sie so interpretiert.
Nein, das Gutachten wertet die Fälle aus dem Heidekreis aus und dann aber noch die Fälle aus den Nachbarkreisen. Rogge: Das hat die Politik interessiert. Ich hätte das aus den genannten Gründen nicht aufgenommen. Die Inhalte des Gutachtens wurden gemeinsam entwickelt, so wollten die Gremien zum Beispiel auch Daten zu den 30-Minuten-Anfahrten haben.
Es geht aber um gesetzliche Daseinsvorsorge. Wenn alle Landkreise so dächten…
Norden: Rotenburg denkt in seinen Grenzen, aber nicht nur (lacht).
Rogge: Im vertraulichen Teil des Gutachtens steht, wie unsere Einzugsgebiete sind. Wir wissen ja, wo unsere Patienten herkommen. Das deckt sich nicht mit Landkreisgrenzen und ist auch von Fachabteilung zu Fachabteilung unterschiedlich. Das kann ich doch nicht negieren.
Es geht doch um den gesetzlichen Auftrag des Kreises, seine Bevölkerung klinisch zu versorgen. Wird eine neue Klinik gebaut, so müssen innerhalb des Auftrags und der GBA-Richtlinien optimal die meisten Patienten binnen 30 Minuten die Klinik erreichen können. Da sehen unsere Zahlen anders aus als die von Trinovis. Und da das Gutachten lange unter Verschluss gehalten wurde, haben wir ein Akzeptanzproblem.
Norden: Im Nachhinein ist man immer schlauer. Die jetzt veröffentlichte Zusammenfassung des Gutachtens ist in seinen Daten schon vorher bekannt gewesen, Trinovis hat das jetzt nur zusammengeführt. Aber okay, man hätte die Kommunikation besser machen können.
Interview: Bernhard Knapstein und Anja Trappe